Das Vertrauen in die Gottesmutter und die Praxis, sie nicht zuletzt an ihren zahlreichen Wallfahrtsorten um Beistand in allen Lebenslagen zu bitten, war in der Zeit Kaiserin Eleonore Magdalenas fest in der katholischen Frömmigkeit verankert. Die Marienverehrung spielte zugleich eine große Rolle in der öffentlichen Selbstinszenierung katholischer Fürstinnen und Fürsten, die damit an die große Popularität der Gottesmutter und ihrer Kultstätten anknüpften.
Auch in der sogenannten Pietas Austriaca, also der öffentlichen Frömmigkeit der Habsburger, spielte sie eine große Rolle.[1] Dabei standen besonders zwei Aspekte im Vordergrund: die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis (die die angeborene Freiheit Marias von der Erbsünde ausdrücken sollte), und ihre Verehrung als siegreiche Heerführerin gegen Unglauben und Häresie. Die tiefe Verwurzelung der Marienverehrung in der katholischen Vorstellungswelt beruhte aber weniger auf diesen theologischen und politischen Zuschreibungen als auf der Überzeugung, dass die Muttergottes jederzeit und ohne Vorbedingungen für alle Menschen zugänglich sei, die sich vertrauensvoll an sie wandten.[2]

Ein eindrückliches Beispiel dafür, wie ein spontan in der Bevölkerung entstandener Kult um ein wundertätiges Marienbild bis in die kaiserliche Familie hineinwirkte und gleichzeitig für die Interessen der Dynastie instrumentalisiert wurde, soll hier vorgestellt werden: 1697 schickte Kaiserin Eleonora Magdalena ihrem Bruder, Kurfürst Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg, die Kopie eines Gnadenbildes, das zu dieser Zeit in Wien großes Aufsehen erregte, nämlich der Muttergottes von Pötsch (Máriapócs).[3] Dem ikonenartigen Bild in der griechisch-katholischen[4] Pfarrkirche in Máriapócs in Ungarn sagte man nach, dass es im Jahr zuvor mehrmals geweint habe.[5] Erstmals war dies einem Bauern während einer Messe aufgefallen, und in den folgenden Wochen hätte sich das Wunder mehrfach wiederholt, was zahlreiche Zeugen bestätigten, darunter (wie die Befürworter des Kults betonten) auch Protestanten. Rasch häuften sich auch Berichte über wunderbare Heilungen, die der Gottesmutter nach Bitten und Gelübden vor diesem Bild zugeschrieben wurden.
Während sonst meist lokale kirchliche Institutionen wie etwa Klöster die Organisation und überregionale Bewerbung derartiger neu entstehender Kultstätten übernahmen, wurde das Bild in diesem Fall im Auftrag Kaiser Leopolds I. im Juli 1697 nach Wien transferiert. Die treibenden Kräfte dieser Übersiedlung sollen Kaiserin Eleonora Magdalena und der schon zu Lebzeiten wie ein Heiliger verehrte Kapuziner Marco d’Aviano gewesen sein. In Wien erfreute sich das Bild umso größeren Zulaufs; es wurde abwechselnd in verschiedenen Kirchen gezeigt und durch Prozessionen und Festgottesdienste gefeiert. In der Folge wurde der Gottesmutter auf Grund der Verehrung dieses Gnadenbildes der Sieg der habsburgischen Truppen über das osmanische Heer in der Schlacht bei Zenta am 11. September 1697 zugeschrieben.
Aus der Korrespondenz Kaiserin Eleonora Magdalenas mit ihrem Bruder Johann Wilhelm erfahren wir zwar nichts über ihre Rolle beim Transfer des Bildes nach Wien. Sie berichtete aber, dass das Bild in Wien stark verehrt würde, und zeigte sich überzeugt, dass der Sieg bei Zenta tatsächlich „dieser andacht vndt den zähern [Tränen] der mutter gottes“ zuzuschreiben war.[6] Die Übersendung einer Kopie des Bildes an den Bruder verband sie mit der Erwartung, dass dieser damit in seinen Ländern einen weiteren Wallfahrtsort der Muttergottes von Pötsch einrichten würde: „also hab mich vnterstanden, dero Liebden auch ein copei dauon zue vberschiken, nit zweiflendt, das auch dorten bey bey selbigem die andacht gegen vnser liben fraw werde eifrigst vortgesezt werden.“[7] Die Kaiserin trug hier also zur Verbreitung eines Kultes bei, der eng mit der habsburgischen Kriegspropaganda verknüpft war. Zugleich sollte die Verehrung der Kopie des Gnadenbildes aber auch die Anliegen ihres kurfürstlichen Bruders fördern, denn das Gebet davor werde ihm „alle gnaden von gott erlangen“:
„Sie [die Gottesmutter] wirt auch dero Liebden alle gnaden von gott erlangen vndt sterke erwerben, alle gutte vohrnemmen bestendich ins werk zue sezen, auch was sie sonsten verlangen werden an ewigen vndt zeitligen wolfart von ihren libsten sohn erbitten.“[8]
Darüber hinaus ließ Kaiserin Eleonora Magdalena auch vor dem originalen Bild in Wien eine Andacht mit der Bitte um die baldige Geburt eines Erbprinzen für ihren Bruder halten.[9]
Die Rolle Marco d’Avianos bei der Einrichtung des Kultes in Wien hatte die Kaiserin ihrem Bruder schon gleich anlässlich der Nachricht über den Sieg bei Zenta beschrieben:
„Ich hab nit vnterlasen wollen, in dem heündt die gutte zeitung[10] kommen, das der türkh den 11ten dis[11] geschlagen, solchs alsobalten dero Liebden zu participiren[12]. Gott hatt das gebett vndt große andacht des volks bey dem genaden bildt vnser lieben fraw, welche Pater Marcuß bey der ersten procesion mit der exortation[13], segen, general comunion vndt papstligen ablaß vndt segen angefangen vndt das vol[k] bis auf den heüntigen dag continuirt, das nie niks dergleichen hier gesehen worden, angesehn vndt durch die vohrbitt der heiligen mutter vns dise große victori widerumb verlihen.“[14]
Auch von Kaiser Leopold I. ist ein Brief erhalten, in dem er das Gnadenbild von Máriapócs erwähnte. Er schrieb (hier in deutscher Übersetzung aus dem italienischen Original) am 22. März 1698 an Marco d’Aviano:
„Hier findet den ganzen Winter über die Ausstellung des wundertätigen Bildes der Jungfrau statt, die in Ungarn geweint hat […]. Sie [die Gläubigen] bringen immer noch endlose Opfergaben, und ich vertraue darauf, dass diese Andacht einen glücklichen Erfolg haben wird. Auf jeden Fall werde ich aber dafür sorgen, dass im Frühjahr einige besondere Andachten stattfinden.“[15]

Eine Publikation aus dem Jahr 1739 gibt Auskunft über die anhaltende Verehrung des Bildes in Wien in den folgenden Jahrzehnten.[16] Daraus erfahren wir, dass es weiterhin mit zahlreichen Heilungen und Gebetserhörungen in Zusammenhang gebracht wurde. Kaiserin Eleonora Magdalena kommt darin mehrfach vor: Sie habe das Bild nicht nur mit ihren „selbst eigenen Händen“ mit einer edelsteinbesetzten Rose und einer diamantenen Krone geschmückt, deren kostbare Materialien sie gestiftet hatte, sondern wurde auch im Zusammenhang mit einer Wunderheilung erwähnt: Nachdem die Kaiserin jahrelang die Arzt- und Apothekerkosten für die gehbehinderte Tochter einer Catharina Grienwaltin („eines Laqueyen Weib“) getragen habe, ohne dass sich ein Erfolg einstellte, sei dieses Kind am 13. Juli 1698 nach langen Gebeten seiner Mutter vor dem Gnadenbild plötzlich geheilt worden.[17]
Die Verehrung des Marienbildes von Máriapócs ist somit ein gutes Beispieldafür, wie ein spontan entstandener Wunderkult von kirchlichen und weltlichen Autoritäten vereinnahmt und politisch instrumentalisiert werden, gleichzeitig aber seine Popularität als Anlaufstelle für die ganz persönlichen Anliegen von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten behalten konnte.
[1] Die anderen beiden Säulen der Pietas Austriaca waren die Verehrung der Eucharistie und des Kreuzes. Zur Rolle des Sternkreuzordens in diesem Zusammenhang gibt es bereits einen früheren Beitrag auf diesem Blog.
[2] Habermas, Rebekka: Wallfahrt und Aufruhr: zur Geschichte des Wunderglaubens in der frühen Neuzeit. Frankfurt, Main u.a. 1991, S. 71. Wie sie ausführt, versuchten zwar viele Geistliche in ihren Predigten, den Gläubigen Furcht vor Gott einzuflößen, dies bezog sich aber „nur ganz selten auch auf die wundertätige Maria. Sie vermag zuzuhören, mit Rat und Tat Sorgen zu teilen, Not zu lindern und Hilfen zu gewähren, ohne im Gegenzug laut und zuweilen drohend ihre Rechte einzufordern. Maria ist vielmehr die Inkarnation alles Mütterlichen […].“, ebd. S. 72.
[3] Eleonora Magdalena von Pfalz-Neuburg an Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg, Ebersdorf am 02.10.1697, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Kasten blau, 44/7, fol. 197r–v.
[4] Griechisch-katholisch meint hier die 1646 geschlossene Kirchenunion zwischen einem Teil der ungarischen orthodoxen Kirche mit der katholischen.
[5] Dazu siehe Art. „Maria Pötsch”, online: Wien Geschichte Wiki https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Maria_P%C3%B6tsch ; Johanna Witzeling, Johann Heiss, Johannes Feichtinger: Wien 1, Stephansdom, Gnadenbild „Mária Pócs“, online: Türkengedächtnis (Österreichische Akademie der Wissenschaften) https://www.oeaw.ac.at/tuerkengedaechtnis/denkmaeler/ort/stephansdom-gnadenbild-maria-pocs ; Art. „Madonna von Pötsch (Wien)“, online: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Madonna_von_P%C3%B6tsch_(Wien) .
[6] Wie Anm. 3, fol. 197v.
[7] Ebd. fol. 197r–v. Die Verehrung von Kopien von Gnadenbildern, denen ebenfalls Wundertätigkeit zugeschrieben wurde, war verbreitet. Berühmte Bilder wie jenes von Máriapócs brachten oft zahlreiche Sekundärwallfahrten hervor, in diesem Fall unter anderen im Bistum Speyer, vgl. https://web.archive.org/web/20160127161232/http://cms.bistum-speyer.de/www2/index2.php?cat_id=32125 .
[8] Wie Anm. 3.
[9] Eleonora Magdalena von Pfalz-Neuburg an Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg, Ebersdorf am 30.10.1697, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Kasten blau, 44/7, fol. 208r–210v, hier 208r–v.
[10] „zeitung“: Nachricht.
[11] „dis“: dieses Monats, also September 1697.
[12] „participiren”: mitteilen.
[13] „exortation”: Als Exhortatio (lateinisch: Ermahnung) werden häufig päpstliche Verlautbarungen bezeichnet.
[14] Eleonora Magdalena von Pfalz-Neuburg an Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg, Ebersdorf am 02.10.1697, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Kasten blau, 44/7, fol. 192r–v.
[15] Kaiser Leopold I. an Marco d‘Aviano 22.3.1698, zit. nach: Onno Klopp (Hg.): Corrispondenza epistolare tra Leopoldo I. imperatore ed il P. Marco d’Aviano, Capuccino : dai manoscritti originali tratta e pubblicata (Graz, 1888). http://archive.org/details/corrispondenzaep00leop .
[16] Erneuert= und vermehrter Gnaden=Brunn in dem wunderthätigen Bild der weindenden Mutter Gottes von Pötsch […] (Wien 1739) S. 312. online: https://books.google.at/books?id=IJZbAAAAcAAJ&newbks=1&newbks_redir=0&printsec=frontcover&pg=PA110&dq=Muttergottes+vom+Gnaden-Aug+Neuburg&hl=de&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false .
[17] Gnaden=Brunn, S. 21, 29, 58f.
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Ines Peper (30. Januar 2025). Die Muttergottes von Pötsch (Máriapócs) und die Schlacht von Zenta. Kaiserin und Reich. Abgerufen am 16. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/137n0